„…denken Sie nicht an ein weißes Pferd auf grüner Wiese…“

Ohne das wir es steuern können, haben wir ein Bild im Kopf. Umgangssprachlich würden wir sagen, das Bild kommt „unbewusst einfach“.

Zum Einen kann das Gehirn nachgewiesener Weise ein NICHT nicht verarbeiten – das Pferd ist genannt, ein Nicht-Pferd hat kein Bild. Also spring unser Hirn auf das, was es „kennt“. (Dazu in einem Blog über Heuristiken und Denkfehlern später mehr.)

Aber genau darauf ist unsere Kommunikation aufgebaut:
in meinem Kopf sind Ideen und Gedanken. Diese transportiere ich in einem Gespräch über einen schmalen Kanal – die Kommunikation – zu meinem Gesprächspartner.

In meiner Wortwahl, meiner Sprache drücke ich mich aus. Und ich erwarte Antworten, die meiner Lebenswelt gleichen. Denn wir gehen wie selbstverständlich davon aus, dass unser Gegenüber die gleichen Begriffe mit Bildern und Worten verbindet.

Aber ist mein weißes Pferd ein dickes Pony oder ein Einhorn?

Wie es funktioniert, wie aus meinen Gedanken deine Bilder werden, dazu hat die Informationstheorie einige Ergebnisse. Diese entsprechen wieder nicht der umgangssprachlichen, automatischen Ansicht, können aber insbesondere unsere berufliche Kommunikation verbessern.
Das möchte ich in dieser Reihe erklären.

Man kann nicht nicht kommunizieren: Exformation

Den kürzesten Briefwechsel der Welt, zitiert Nørretranders aus dem Guiness-Buch der Rekorde:

Victor Hugo wollte 1862 wissen, wie sein Buch „Les Miserables“ ankam.
Er schrieb dazu an seine Verleger:
„?“
Diese antwortete, den Tatsachen entsprechend:
„!“

Damals aufwändig und bei den Kosten pro Wortzeichen in einem Telegramm kostensparend – und in unserer heutigen SMS-Zeit aktueller denn je.
Eine Frage und eine Antwort mit 2 Satzzeichen – es muss also noch etwas anderes transportiert worden sein, als allein diese Zeichen.

„Es verweist explizit auf das Ausgesonderte, aber ausgesondert bleibt es, vom Briefwechsel her gesehen.“ (Nørretranders, S. 148)

Solche explizit, bewusst in einem Prozess ausgesonderte Information definiert Nørretranders als Exformation – und eine Aussage hat demnach Tiefe, wenn sie sehr viel Exformation in sich birgt. (Nørretranders, S. 149)

Weiter stellt er fest, dass kein Gegensatz zwischen Exformation und Information besteht. Aber auch kein Zusammenhang.
Beides steht eher in einem rechten Winkel zueinander, beides ist ohne jeweils das andere sinnlos: Information ohne Exformation ist unendliches Gerede, Exformation ohne Information ist nur uninteressanter Datenmüll. (Nørretranders, S. 152)

Wenn ich dir jetzt ein „?“ per WhatsApp schicke, wirst du mich fragen, ob ich im richtigen Chat bin.
Es ist also ein Kontext nötig, etwas von dem wir beide wissen können, das es grade weggelassen wurde, damit solche, kurze Information gelingt.

Nichts? Ich will doch bloß hier sitzen!

Es gibt also keine Möglichkeit, aus dem Informationsgehalt einer Mitteilung direkt abzulesen, wieviel Exformation sie enthält. Erst der Zusammenhang gibt darüber Auskunft.“ (Nørretranders, S. 149)
Ein Blick unter Freunden, eine Anspielung unter Partnern – dann grinst man wissend; oder man ist auf der Palme.

Insbesondere im beruflichen Umfeld können und müssen präzise Aussagen in einem engen Kontext kommuniziert werden. Wenn es um Produkte, Absatzzahlen oder neue Anschaffungen geht, ist die Exformation dahinter klar ersichtlich. Das verstehen wir dann unter „professioneller, beruflicher Kommunikation“.
Aber auch dort wird gezickt und gebissen, vorenthalten – und wenn man die letzten Infos am Kaffeeautomaten noch nicht bekommen hat, steht man manchmal ratlos da.

„Bei den meisten Aussagen, die wir hören, haben wir keine Ahnung, worin die Exformation besteht. Wir vermuten, wir fühlen, wir ahnen – aber wir wissen es nicht.“ (Nørretranders, S. 152)
Wir interpretieren.

Das kann Spass machen – oder einen zum Durchdrehen bringen, Loriot hat sich eingehend genau damit beschäftigt. Bei YouTube z.B. unter „Der Feierabend: ich will doch bloß hier sitzen.“ – wie anstrengend, wenn Exformation an falscher Stelle verortet wird.

Also: was einfach, was komplex ist oder nur kompliziert, ist direkt leider nicht zu unterscheiden.
Wir müssen interpretieren.

Hinzu kommt, dass unser Körper Aussagen unbewusst noch verstärkt oder verneint.
Wir hören die Zwischentöne – und wenn Bert aus der Buchhaltung uns wortlos die Monatszahlen auf den Tisch knallt, dann hat er sich wohl wieder vorher mit dem Chef gezofft, weil ein Fehler in einer Buchung war. Oder ist er doch sauer auf uns, weil wir den letzten Kaffee genommen haben – und keinen Neuen aufgesetzt haben?
Kommunikation ist komplex.

Gehen wir weiter an das Grundprinzip der Kommunikation aus theoretischer, „technischer“ Sicht heran, wenn zwei Menschen sich unterhalten.

Kommunikation ist Transport, nicht Bedeutung
Kommunikation – gemäß der Informationstheorie – beschreibt nur einen Transport von Information, nur, wie etwas von mir zu dir gelangt. Nicht ob und was transportiert wird.

Wichtiger noch: „wir können Kommunikation nach Belieben umkehren. Vorwärts, rückwärts ist einerlei.“ (Nørretranders, S. 165) Das Wichtige, das Bedeutende, ist der Weg vorab – das Hervorbringen und Aussortieren von Informationen. (Nørretranders, S. 162)

Das klingt abstrakt, nochmal ein Beispiel, angelehnt an Nørretranders:
Wenn ein junger Student auf einen Interrail-Trip geht, machen sich die Eltern meist Sorgen, ob dabei alles glatt läuft. Kluge Kinder und Eltern vereinbaren dann: „ruf an, wenn du Hilfe brauchst.

Solange also das Telefon zu Hause nicht klingelt, geht es dem Reisenden gut. Wenn man Geldnachschub braucht, sich den Magen verdorben hat, noch 2 Wochen anhängen will – dann ruft man an.
Das bedeutet, die kürzeste Nachricht der Welt liegt nicht bei Victor Hugo – sondern in einem schweigenden Telefon.

„Wer den Preis für diese Art Telefonbenutzung wissen will, braucht nur seine Telefonrechnung nicht zu bezahlen. (…): Wer könnte versucht haben, mich zu erreichen? Ein Telefon, das nicht läutet, birgt also viele Nachrichten, sofern die Rechnung bezahlt ist.“ (Nørretranders, S. 163)

Wir müssen umdenken
Es kann also wirklich von hohem Nachrichtenwert sein, überhaupt nicht zu fragen.
Das kürzeste Gespräch wird dauernd geführt.
Es besteht darin, jemanden nicht anzurufen, den wir anrufen könnten. Das gilt im Berufs- wie im Privatleben. Und sei es „du bist mir egal“ damit zu sagen. Oder „ich habe dich vergessen“ oder besser noch „bei mir läuft es gut“.

Man kann nur noch schwer nicht „nicht“ kommunizieren in unserer heutigen Zeit.

Den Eltern täglich Reise-Rapport liefern zu müssen, kostet. Und erzeugt, wie vorangegangen geschildert, Informationen, die immer auch wieder entsorgt werden müssen. Wie lange freut man sich über eine Postkarte aus Amsterdam?

Bewusst Regeln zu finden, Exformation zu transportieren, erspart eine Menge an Sorgen, Fragen, Arbeit und Zeit.
Nicht-relevante Informationen gar nicht erst zu erzeugen, ist heute wichtig.

Grundsätzlich wussten wir ja schon intuitiv:
„Am wenigsten interessant an einem guten (privaten) Gespräch ist das, was gesagt wird. Interessanter sind all die Überlegungen und Gefühle, die sich während des Gesprächs einstellen, in Kopf und Körper der Gesprächspartner.“ (Nørretranders, S. 151)

Wenn das Kopfkino anspringt, man etwas miterlebt, die Geschichte von Tante Trude und der Torte, die ihr runter fiel, mit Tränen vor Lachen anhört.
Das Eigentliche, das Unwiederrufliche, geschieht vor und nach der Kommunikation, nicht in ihr.

„Das Wichtigste an Kommunikation ist nicht, dass man etwas sagt, sondern was man zu sagen hat.“ (Nørretranders, S. 166)

Die explizite Information des Absenders weckt Ideen und Gedanken beim Empfänger. Wie bei allen guten Geschichten gilt: „Soll Kommunikation gelingen, muss der Absender nicht nur an sich selber, sondern auch daran denken, was der Empfänger im Kopf hat.“ (Nørretranders, S. 149)

Kommunikation ist also nicht das Gespräch, das wir führen. Nicht die Worte, die wir sagen oder WhatsApp’en.
Wie transportiere ich also mein Pferd zu dir, wann steht es bei dir auf der grünen Wiese?

Dazu im kommenden Blog zum Baum der Rede.