Kein Schwein ruft mich an
Wer den Preis für die Nicht-Kommunikation ermitteln will, braucht nur ein defektes Mobiltelefon: „Wer könnte versucht haben, mich zu erreichen?“
Ein Telefon, das funktioniert aber nicht klingelt, sagt viel.
Ein Gespräch, das wir führen, besteht nicht nur aus den Worten, die wir sagen oder schreiben.
Wie transportiere ich mein Pferd zu dir, obwohl ich nicht viel sage. Was geschieht, wenn mein dickes Pony plötzlich ein weißes Nilpferd ist und genau jetzt bei dir auf der grünen Wiese steht?
Einmal zum Ursprung
Der Begriff Information stammt ursprünglich aus der Kybernetik. In der Informationstheorie wurde erst viel später durch Claude Shannon und Warren Weaver festgestellt, dass man Kommunikation korrekt eher in drei Ebenen gliedern muss:
Eine technische Ebene (= die Übertragung von Zeichen, beschrieben durch Shannons Mathematische Theorie), eine Semantische (= wie genau die übertragenen Zeichen einer gewünschten Bedeutung entsprechen, und wie es der Baum der Rede von Nørretranders beschreibt) und eine Effektive Ebene (= in welchem Ausmaß eine Nachricht beim Empfänger zu einer Reaktion oder Verhaltensänderung führt. Dazu hat die Neurobiologie Antworten; ein Blog über die Ergebnisse von Gerhard Roth wird später folgen).
Die Tiefe einer Aussage – wie lange oder fundiert jemand über etwas nachgedacht hat – lässt für den Empfänger Bedeutung entstehen. Diese Exformation ist zum einen aber technisch irrelevant. Sie ist, wie im Blog Kopfkino beschrieben, andererseits auch nicht direkt ersichtlich für uns. Wir reden also immer über Kommunikation auf den Ebenen 2 und 3.
Aber genau das macht das Interessante an Kommunimation aus:
wie transportiere ich, was mir wichtig scheint.
Und wie könnte ich das Verhalten von Mitmenschen damit verändern.
Aber zuerst noch ein Bick auf die technischen Ebene, als Grundlage des Ganzen:
Irreversibel
Der Mathematiker Rolf Landauer hat einen wichtigen Unterschied zwischen Berechnungen und Kommunikation erfasst:
Kommunikation lässt sich beliebig kopieren, übertragen, vorwärts und rückwärts.
Berechnungen aber – ebenso wie Exformation – sind irreversibel.
2 plus 2 = 4. Aber 4 kann auch durch 3 plus 1 oder 4,395 minus 0,395 entstanden sein. Der Sinn von Berechnungen ist ja gerade, Information zu reduzieren.
Das Eigentliche, das Unwiederrufliche, geschieht also vor und nach der Kommunikation, nicht in ihr.
Das Ergebnis höre und sehe ich. Wie es zustande kam, kann ich – wie schon festgestellt – nur interpretieren. (Siehe dazu den voran gegangenen Blog Kopfkino)
Es ist meist auch nicht relevant, wie die 4 entstand. Oder wie die Torte zu uns auf den Tisch kam. Hauptsache, sie ist da und wir können sie endlich essen.
„Das Wichtigste an Kommunikation ist nicht, dass man etwas sagt, sondern was man zu sagen hat.“ (Nørretranders, S. 166)
Trude und der Binärbaum
Sehen wir die Kommunikation wieder als einfachen Binärbaum:
Eine Erzählung, eine Aussage beschreibt die vielen (kleinen) Entscheidungen, die getroffen wurden, und jetzt hierher geführt haben.
Der konkrete Weg durch den Binärbaum zeigt uns, wieviele Alternativen geprüft wurden. Bei einem kurzen Weg von 7 Entscheidungen wären es 2 hoch 7 = 128 Optionen. Das sind viele mögliche Wege, viele Optionen – und viele Daten zu merken – aber nicht wirklich interessant. Es ist hingegen leichter zu behalten, dass 7 Entscheidungen getroffen wurden. (Nørretranders, S. 167)
Die Erzählung von Tante Trude, dass sie erst mit dem 24er-Bus und dann in den 26er umgestiegen ist – wo doch immer diese komische Person an der Haltestelle sitzt – und deshalb ist sie dann ja lieber zur S-Bahn runter, wo sie dann die Torte fast verloren hätte, aber deshalb hat sie genau die richtige Haltestelle genommen und nun, ja endlich, auch unsere Hausnummer gefunden hat.
Trude ist unerbittlich. Sie teilt uns alle ihre Entscheidungen mit.
Sie hätte sagen können, sie ist mit den Öffentlichen gekommen – das hätte uns völlig ausgereicht. Denn sie steht in der Tür. Und die Torte hat sie offensichtlich auch noch dabei.
Erlebnis und Bericht
Logische Tiefe und Bedeutung ist Exformation. Explizit ausgesonderte Information und Berechnungen, die uns erspart bleiben.
Denn es geht leichter zu übermitteln, wenn wir zusammenfassen. Und je besser, je tiefer wir Informationen zusammenfassen, desto interessanter für den Empfänger.
„Daher rührt vermutlich das Missverständnis mit dem Informationsbegriff aus der Kybernetik. Unordung enthält viel Information – wir glauben bei dem Begriff aber gewöhnlich spontan an etwas, das uns einer Mitteilung wert erscheint. Wir meinen also nur das Ergebnis einer Aussortierung.“ (Nørretranders, S. 169)
„Wir denken nicht daran, dass ein Erlebnis mehr Informationen enthält als der Bericht darüber. Er beruht jedoch ganz und gar auf Informationen, auf die der Berichtende verzichtet hat.“ (Nørretranders, S. 169)
„Was wir meinen, wenn wir im Alltag von Informationen sprechen, ist beinahe identisch mit Exformation. Aber nicht ganz.“ (Nørretranders, S. 171) Denn Kommunikation ist nur der Transport, wie schon festgestellt, nicht die Bedeutung.
Wie reist mein Nilpferd zu dir auf die Wiese?
Der Baum der Rede
Nørretranders stellt die Kommunikation zwischen Menschen in einem Modell dar. Es ist eine Karte, wie Menschen miteinander sprechen:
„Zuerst muss die Person links nachdenken, Erfahrungen zusammenfassen. Dabei wird eine Menge Information aussortiert. Es kommen ihr Wörter in den Sinn, die gesagt werden können. Sie werden durch den Kanal – die Kommunikation – übertragen. Am anderen Ende, bei der Person rechts, werden die Wörter empfangen und die Bedeutung entfaltet.“ (Nørretranders, S. 172)
Der Empfänger hört oder liest die Worte. Und denkt an Pferde, die er schon einmal gesehen hat. Und die Körperform vom Pferd wird mit dem von Nilpferden abgeglichen: Erlebnisse werden assoziiert, Gedanken, Erinnerungen, Erfahrungen. Die Bedeutung verteilt sich. (Nørretranders, S. 173) und sowohl Pferd als auch ein kleines Nilpferd stehen bei dir auf der Wiese.
Es hat die Übertragung von wenig Information stattgefunden – die aber beim Empfänger eine Vielfalt von Assoziationen hervorruft. Es werden also unbewusst und in Bruchteilen von Sekunden Werte und Erfahrungen erzeugt, die ein Gehirn dazu gespeichert hat.
Wer noch nie einen schwarzen Schwan gesehen hat, kann ihn sich also nur sehr schwer vorstellen – bis hin zur Ablehnung (= das glaube ich dir nicht!).
Aber dazu später mehr in einem anderen Blog zum Thema Denkfehler und Antifragilität.
Das Modell von Nørdetranders beruht ursprünglich auf der Beschreibung des Musikers Peter Bastian für das Geschehen beim Musikhören: wenn ein Komponist etwas kreiert, es in einem Musikstück umsetzt – und wie dies beim Zuhörer wirkt. (Nørretranders, S. 173)
Und ein ähnliches Modell findet sich bei der Beschreibung der Funktionsweise von (Spiegel-) Neuronen in unserem Gehirn. (siehe Keysers S. 27)
Das Prinzip lässt sich für die Rede und die Schrift übertragen:
Das Kopfkino entsteht in voller Pracht, wenn wir berührt sind, wenn unsere Erinnerungen und Erfahrungen von außen angetippt werden.
Das weiße Nilpferd ist wie die Torte von Tante Trude: es wurde viel Information verarbeitet, die in ihr nicht mehr direkt ersichtlich ist. Es ist aber nicht nur ein Kuchen: es ist DIE Torte. Für die wir uns auch einen endlosen Vortrag an Unwichtigkeiten bereitwillig anhören.
Wie ist es aber möglich, dass Exformation des Erzählers wieder beim Zuhörer hervorgerufen wird?
„Wie wird Exformation des Senders mit erinnerter Exformation auf Seiten des Empfängers verknüpft? (…) Nur kleine Kinder können diese Frage wirklich beantworten.“ (Nørretranders, S. 187)
Kinder durchlaufen diesen Lernprozess, Unbekanntes das erste Mal zu hören, zu erfahren, zu erraten, was es wohl bedeuten muss. Kinder lieben das Vorlesen, das Spielen, das Ausprobieren. Das Gehirn erzeugt immer neue Muster, immer wieder und wieder, bis ein stabiler Pfad daraus wird. (Siehe u.a. bei Nørretranders, S. 188, bei Roth S. 274, bei Monyer, Gessmann S. 182ff oder bei Keysers, S. 64)
Die Torte als lohnenswert zu speichern, setzt Erfahrungen voraus. Erfahrungen mit der Torte deiner Oma Elisabeth, mit Kuchen allgemein, mit der Erfahrung dass Süßes gut schmeckt. Oder auf den Magen schlägt. Aber es ist immer deine, individuelle Erfahrung. Dein Pferd ist ein Einhorn, meins ein dickes Pony, wenn wir uns nicht Details ansehen und unser Setting definieren. Missverständnisse sind bereits eingewebt.
„Das führt zum anderen zu der Frage, ob es zwischen den Bäumen der Menschen andere Kanäle gibt, als nur den sprachlichen und wieviel Information die anderen Kanäle übertragen.(…) Wenn wir miteinander reden ist es die Rede, derer wir uns bewusst sind. Sie füllt unser Bewusstsein aus. Findet aber der größere Teil eines Gesprächs außerhalb der Rede statt, während der Rest im Kopf abläuft, warum sind wir uns dessen nicht bewusst?“(Nørretranders, S. 188)
Wir kommen damit zur Bandbreite des Bewusstseins.
Mehr dazu im folgenden Blog zum Bewusstsein – und ob es es ein Bit mehr sein darf.