Gib mir Bedeutung

Unsere „Informationsgesellschaft“ ist, wie wir im ersten Blog zur Information gesehen haben, im eigentlichen Sinne eine „Entropiegesellschaft“ – eine Gesellschaft der Unordnung.

Der alltagssprachliche Begriff von Information hat hingegen mit „Bedeutung“ zu tun, die wir darin erhoffen (Nørretranders, S.67ff.):
Bedeutung und Information haben (…) wenig miteinander zu tun. Dem entsprechend haben Komplexität und Information wenig miteinander zu tun, wenn man über die physikalische Welt spricht.“ (Nørretranders, S. 112)

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Ein völlig geordneter Text enthält sehr wenig Informationen, er lässt sich daher leicht komprimieren. (= 3x13b). Ein völlig ungeordneter Text enthält hingegen eine Menge an Information, er lässt sich nicht kürzer sagen und erfordert dadurch eine sehr genaue Wiedergabe (= ddkhwfjhvuwzefgkurdvvwrifugeckhkwdfhwoufz) – wodurch er allerdings auch nicht interessanter wird.

Das Interessante liegt also dazwischen (es sei denn, man interessiert sich für Dadaismus); und damit kommen wir zum Kern von Kommunikation und allem Zwischenmenschlichen; wir kommen nochmal zur Komplexität.

„Information ist ein interessanter Begriff, aber kein gutes Maß für Komplexität. Selbstverständlich muss eine gewisse Menge an Information vorhanden sein, ehe wir überhaupt von Bedeutung oder Komplexität sprechen können. Die Menge ist aber nicht das Entscheidende. Sondern die Tiefe, die Bedeutung, die eine Information, eine Nachricht ausmacht.“ (Nørretranders, S. 112)

Zufall und identische Komponenten – Komplexität entsteht

Komplexität entsteht durch den Kooperationseffekt vieler, identischer Komponenten. Fundamentale Bausteine sind für sich genommen einfach, das übergeordnete Verhalten aber ist extrem komplex (Nørretranders, S. 116).

Dies zu verdeutlichen reicht bereits der einfache binäre Entscheidungsbaum:
1 blaue, 1 rote Kugel, n-maliges Ziehen und der Baum der Wahrscheinlichkeit wächst.

In der Praxis wäre dies: „möchtest du den Chai Latte mit Soja-, fettarmer oder normaler Milch? In S, M, L? To go, im Becher, in der Tasse, warm, kalt …“
Entscheidungen, Optionen, Chancen oder auch einfach Zufall bestimmen den Weg zu dem einen Ereignis, das uns gerade betrifft oder interessiert.

Dass es nicht die Menge der Information ist, die entscheidend ist, ist uns Menschen eigentlich völlig selbstverständlich: Der Wert einer Information oder einer Nachricht besteht in der Arbeit, die zu wiederholen uns erspart bleibt. Die gesamte Länge an Information zu bekommen, bedeutet, nochmal den Weg komplett durch den Entscheidungsbaum nehmen zu müssen.
Wenn ich doch nur eine Tasse Kaffee trinken will.

Ebenso bei sogenannten „Powerpoint-Schlachten“ im Beruf: „KISS – Keep it straight an simple!“ ist die Aufforderung – was folgt ist oft nur kurz. Nicht tief. Man sieht und spürt, ob Mühe und Gedanken hinter der Präsentation stecken. Ob sich jemand überlegt hat, was er mitteilen will.
Zu einer Strukturierten Aufbereitung komplexer Themen haben die Brüder Hinnen im Buch „Reframe it!“ einen Lösungsansatz in 3 Stufen geliefert, mehr dazu in einem folgenden Blog.

Es geht also immer um Arbeit. Um eine Mühe, die ein anderer bereits (sorgfältig) verrichtet hat, die ich selber nicht mehr aufbringen muss. Dort liegt der Gewinn. Oder der Genuss. Wir sind verzaubert wenn wir erahnen, wie mühsam das Ergebnis erzeugt wurde. Durch üben, durch Kraft, durch Zeit. Wenn wir im Kopfkino haben, was alles weggelassen werden konnte. Dort liegt Kunst, Kultur und ein interessantes Gespräch, das sich befruchtet und bereichert.

Wir können (wie wir im Blog vorab gesehen haben) keine generelle Regel aufstellen, wie sich herausfinden lässt, ob eine Zahl zufällig ist oder nicht, ob sie sich kürzer schreiben lässt (siehe Nørretranders, S.98).

Interessiert uns die Qualität, können wir Information also nicht nach Länge/ Kürze bemessen. Wir müssen sie anhand ihres Wertes, ihrer Tiefe beurteilen.

Komplexität zum Dritten

Ein hoher Informationsgehalt hat – das ist jetzt deutlich – nicht automatisch einen hohen Nachrichtenwert. So definiert Charles Bennett von IBM:
„Der Wert einer Nachricht besteht im Umfang der (…) Arbeit, die von den Urhebern plausibel ausgeführt worden ist und die zu wiederholen dem Empfänger erspart bleibt.“ (Nørretranders, S.127).

„Komplexität ist nicht als Länge einer Nachricht
messbar, sondern als die Arbeit, die ihr vorausgegangen ist.“ (Nørretranders,
S.128), und wird als logische Tiefe in der Informationstheorie bezeichnet.

So ist auch Komplexität mehr ein Ausdruck für den
Produktionsprozess, denn für das Produkt – und in einer gegebenen Aussage kann
sehr viel Arbeit stecken, ohne dass dies zu erkennen ist.

„Es ist schwierig, die Dinge leicht aussehen zu lassen.
Klarheit erfordert Tiefe.“
(Nørretranders, S.130)

Unsinn hat dagegen nicht viel Tiefe. Zufälliges Gerede lässt
sich nicht kürzer ausdrücken, weil kein System darin ist. Bei komplexen Größen
muss es aber möglich sein, sie kürzer zu beschreiben, sie zu komprimieren. Und
damit hat „Komplexität (…) mit Information zu tun, die nicht mehr
vorhanden ist.“ (Nørretranders, S.131).

Und was uns der Rede wert erscheint, sind meist Dinge und
Gedanken von großer Komplexität, von großer Tiefe, aber nicht unbedingt mit
großer Oberfläche. (Nørretranders, S.127). Wir wissen andererseits intuitiv (in den Geschichten von
Schildbürgern, durch Bürokraten und Bert aus der Buchhaltung) dass Einfaches
sehr, sehr kompliziert gemacht werden kann.

„Es besteht die Gefahr, dass Dingen hohe Komplexität
zugeschrieben wird, die nur unnötig kompliziert sind.“ (Nørretranders,
S.133). Leider ist vielen Menschen – Konsumenten – nicht bewusst,
dass dazu immer Arbeit geleistet werden muss.
Zwischen Komplex und Kompliziert zu unterscheiden, ist die
Kunst – und dazu kommt es auf die Fragen an, die man stellt. Oder die Gespräche, die
man führt.

Mehr zur Komplexität und der Kommunikation auch im Blog zum Baum
der Rede.

Das Fazit heute

• Wir
müssen unsere Zeitungs-Artikel ausschneiden, verschlagworten, gezielt speichern
– und den Rest löschen. Dies verursacht immer Arbeit, immer Kosten.

• Wenn wir
dazu die richtigen Fragen stellen, erzeugen wir weniger Information, die wir
damit nicht aussortieren müssen.

• Und wenn
wir als drittes unsere Erkenntnisse teilen, braucht der Andere sie nicht zu
suchen. Wir bekommen ein gemeinsames Bild, wir teilen Gedankenwelten ohne
weitere Kosten zu erzeugen.Damit leben wir die Entropiegesellschaft.

Erst das ermöglicht das kompetente Surfen in Komplexität.

Literatur:

Norretranders, Tor: Spüre die Welt. Die Wissenschaft des
Bewusstseins; 1. Auflage 1994; Rowohlt Verlag

Hinnen & Hinnen: Reframe it! Ein Modell zum Refraimen statt vereinfachen,1. Auflage, 2017, Murmann Publishers