11.000.000 : 40 – unser Scheinwerfer
Man kann messen, wieviel Information durch die Sinne aufgenommen wird. Dazu muss man nur die Zahl der Rezeptoren der einzelnen Wahrnehmungsorgane zählen. Dann kann man errechnen, wie viele Nervenverbindungen vorhanden sind, die die Signale ans Hirn liefern – und wieviele Signale jede dieser Bahnen liefert. „Alles in allem sind das mehr als 11 Millionen bit pro Sekunde.“ (Nørretranders, S. 191)

Seit Jahrzehnten wurde in unterschiedlichsten Arten dann auch das Bewusstsein des Menschen in bit pro Sekunde vermessen. Aus all diesen Messungen ergibt sich, dass unser Bewusstsein um die 40 bit/ Sekunde erlebt – dies ist die Bandbreite des Bewusstseins.
Maximal.

Der Physiologe Dietrich Trincker stellte bereits 1965 fest, dass von allen Informationen, die von den Sinnesorganen dem Gehirn zufließen, nur ein sehr geringer Anteil das Bewusstsein erreicht. Er beschreibt dies wie einen Bühnenscheinwerfer, der ein einzelnes Gesicht auf der Bühne hell erleuchtet, während sich der Rest der Bühne, die Personen im Raum, die Kulissen und Gegenstände im tiefen Dunkeln befinden. (Nørretranders, S. 192)

Nørretranders stellt daher ziemlich trocken fest: Information ist kein gutes Maß für Bewusstsein. Information ist aber notwendig, damit Bewusstsein entstehen kann – wie Kraftstoff für einen Motor.

„Es ist allerdings seltsam, wie wenig diese schon lange bekannte Tatsache beachtet wird. Vielleicht hängt dies mit dem unmittelbaren Gefühl des Beleidigtseins zusammen (…) wenn uns bewusst wird, wie wenig uns eigentlich bewusst ist.“ (Nørretranders, S. 193)

Was machst du gerade?
Da das Bewusstsein blitzartig von einem Gegenstand zum nächsten wechseln kann, wird seine Bandbreite von uns nicht als begrenzt empfunden!

So können wir uns im Augenblick
unserer Sitzposition bewusst sein,
der Haltung unserer Hände,
dem Text den wir lesen,
den Geräuschen die wir gerade hören.

Wir haben sofort eine Vorstellung von der Situation um uns herum, zur politischen Lage in Deutschland oder eine Meinung parat, die wir zu Schwarzwälder Kirschtorte haben:
„Der Strom der Bewusstseinsinhalte kennt nur die Grenzen, die die Phantasie setzt.“ (Nørretranders, S. 193)

Wieviel aber durch das Bewusstsein fließt, ist begrenzt, egal wie schnell es zu etwas anderem wechseln kann. Das widerspricht unserem unmittelbaren Eindruck von der mächtigen Kapazität unseres Bewusstseins.

Bewusstsein hat nichts mit Information zu tun (…) sondern mit einem Erlebnis der Ordnung und der Organisation. Es ist ein Zustand, der nicht sehr viel Information verarbeitet.“ (Nørretranders, S. 190)
Eine leichte Blindheit können wir gefühlsmäßig akzeptieren, wir wissen mittlerweile um unsere „selektive Wahrnehmung“ – und hinterher ist man ja sowieso schlauer…

Also schlagen wir noch etwas tiefer in die Kerbe.

0 und 1 – mit 7 Dingen

Weitere Forschungen haben gezeigt, dass die Bandbreite des Bewusstseins vermutlich nur bei 16 bit per Sekunde liegt:
Bit ist das Maß für eine Informationseinheit und drückt unsere Fähigkeit aus, einen Unterschied zu erkennen (ein/ aus, rechts/ links, hell/ dunkel.) Und Information ist definiert als Logarithmus der Anzahl von Mikrozuständen, die in einem Makrozustand zusammengefasst sind. (Nørretranders, S. 198)

Wir Durchschnitts-Menschen sind nun in der Lage, maximal 7 Gegenstände oder Zustände gleichzeitig zu erfassen (wie unzählige von wissenschaftlichen Untersuchungen immer wieder gezeigt haben. Die „Magische 7“ unseres Bewusstseins wird hier als nachgewiesen angenommen. Siehe dazu als Einstieg z.B. die Ausführungen bei Nørretranders S. 201 – 215)

Gilt die Magische 7 – so die Argumentation – müssen wir den Logarithmus von 7 bilden, um unsere wirkliche Bandbreite zu berechnen.
In der Informationstheorie wird der genannte Zweierlogarithmus verwendet – die Frage ist also, wie häufig man die 2 mit sich selber malnehmen muss, um 7 zu erreichen.
Der Logarithmus für unser Bewusstsein ist demnach (2,8 mal 2 = 7) sprich: bei 2,8 bit/ Sekunde. (Nørretranders, S. 198)

Das scheint nur im ersten Überlegen widersprüchlich.
Denn wir können unsere Aufmerksamkeit wandern lassen, wie wir wollen. Circa 7 Dinge können wir mit Übung bewusst UND gleichzeitig. Für den Rest müssen wir zusammenfassen, abkürzen, Anker bilden, Heuristiken verwenden – intelligent agieren.

7 Buchstaben hintereinander „WTUSSBE“ rechnet sich (das Alphabet hat 26 Buchstaben, daher hat jeder Buchstabe ca 5 bit): das Wort hat also 35 bit an Information. Information ohne Bedeutung allerdings.
Handelt es sich aber um eine andere Anreihung der Buchstaben zu „BEWUSST“, wird dieses Wort viel weniger bit benötigen, denn Sprache ist redundant. Und es wird weit mehr an Exformation in dem Wort mitgegeben: es hat Bedeutung.
(Siehe dazu auch den Blog „Tiefe und Bedeutung“)

Es ist also sinnvoll für unser Gehirn, Bedeutung und Symbole zu verwenden.
Sie helfen uns, wie Troyanische Pferde, bits ins Bewusstsein zu schmuggeln. „Wir dürfen also annehmen, dass unser Gedächtnis begrenzt wird durch die Anzahl an Symbolen, nicht durch die Menge an Information, die sie repräsentieren.“ (Nørretranders, S. 199)

Marken sind das plakative Beispiel: Nivea. Coca Cola. BMW. Erlebniswelten in einem Wort komprimiert.
„Marketing“ wurde erst Anfang der 1920er erfunden. Unser Gehirn funktioniert grundsätzlich so. Und das von Pawlow’s Hunden auch – das nennen wir „lernen“.
Dazu intensive Betrachtungen in einem späteren Blog – und der Verweis auf G. Roth und sein Buch „Persönlichkeit, Entscheidung, Verhalten.“

Gehen wir noch einen Schritt weiter in der informationstheoretischen Betrachtung.

Wir Menschen können also Informationen intelligent organisieren (dazu gehört auch das alternative Auswendiglernen. Beide Techniken beruhen darauf, dass Einheiten verkettet werden, so dass eine Einheit die Andere nach sich zieht. Wie ein Souffleur im Theater: ein Stichwort genügt und die Kette läuft weiter.)

Intelligenz hat also nichts damit zu tun, ob man sich einen Meter von Mikrozuständen merken, Skylines 1:1 zeichnen oder die Kugeln in einem Glas korrekt berechnen kann. Damit ist man nicht wirklich lebenstauglich.
„Intelligenz arbeitet mit dem Trick, statt vieler Information eine Menge Exformation zu verwalten.“ (Nørretranders, S. 200)

Was ist wichtig – reduzier‘ es, Baby!
„Solche Zusammenfassungen von großer Informationsmengen in einigen, wenigen exformationsreichen Makrozuständen mit hochkonzentrierten, explizit fomulierter Information sind nicht nur intelligent, sondern oft auch schön oder sexy. Schönheit, Eleganz und Lässigkeit gehören zusammen. Mit wenigen Worten oder Zeichen oder Bewegungen oder Blicken oder Liebkosungen eine Menge zu sagen, das ist schön, klar und reinigend.“ (Nørretranders, S. 201)

Selbst die Wirtschaftsliteratur hat mittlerweile erkannt, dass nicht die Menge an PowerPoint-Folien ein Ergebnis ausmacht, sondern die wohlüberlegte Darstellung einer Entscheidungsvorlage. G. Dueck kommt in seinem Buch Schwarmdumm genau zu dieser Erkenntnis. (Siehe Dueck, S. 105)

Die Fähigkeiten des Bewusstseins werden überschätzt, wenn die Trojanischen Pferde nicht mit berücksichtigt werden, die viele bits in das Verhalten von Menschen schmuggeln, ohne dass das Bewusstsein davon weiß. (Nørretranders, S. 212)

Es ist ein sehr leistungsfähiger Computer notwendig, um in jeder Sekunde viele Millonen bit auf sehr wenige zu reduzieren: „Nur so sind wir in der Lage, zu wissen, was ringsumher geschieht, ohne dass es uns ablenkt, wenn es nicht wichtig ist.“ (Nørretranders, S. 213)
Die Forschung nennt Zahlen bis 10 Milliarden bit pro Sekunde. (Nørretranders, S. 213)
Nur erhält das Bewusstsein keine Kenntnis darüber.

Das Lebenstheater ist voll, die Vorstellung mit 10 Milliarden bit ausverkauft – und unser Lampenspot schwenkt mit maximal 40 bit umher.

Mehr dazu im Blog „Ja, wo reden sie denn…“